Tattoos sind im Trend – nicht nur bei Seeleuten und Rockern. Wer sich aber von einem etablierten Künstler stechen lassen will, muss sich Monate gedulden.
Steff vom The Tattooed Arm in Kriens.
In einer Ecke steht ein alter Zahnarztstuhl auf dem schwarz-weisskarierten Boden. An den Wänden hängen Masken, Schädel und Hörner, dazu Fotos von Tattoos des Künstlers. Der Arbeitsraum im Biodelic-Art-Tätowierstudio Valentin Steinmann in Sursee wirkt verwegen – aber nicht ungemütlich. Valentin skizziert auf dem Arm seiner Lehrtochter Jane (25) einen Totenkopf. Sie hat konkrete Vorstellungen, wie ihr Tattoo aussehen soll. Das ist gut, das erleichtert dem Tätowierer seine Arbeit. Wie aber geht er vor, wenn jemand ohne Ideen auftaucht? Valentin runzelt die Stirn: «Ich brauche zumindest eine Anregung, eine vage Vorstellung. Der Kunde muss etwas im Kopf haben, dann kann ich tätowieren.»
Böse Sau und brennende Häuser
Während Valentin die Tätowiermaschine mit steril verpackten Einwegnadeln und Führungen bestückt, nennt er Tipps für persönliche Motive: «Einem Feuerwehrmann würde eine brennende Häuserzeile gut stehen, einem Metzger würde ich vielleicht eine böse Sau tätowieren.» Solche Zusammenhänge mit Beruf und Tätowierung seien vor allem in Amerika beliebt. Motive, die von der Kundschaft seit Jahren gewünscht werden, sind Drachen, Blumen, Masken, Old School und japanische Sujets.
Valentin merkt rasch, ob jemand bereit ist für ein lebenslanges Kunstwerk auf dem Körper. «Beim Gespräch brodelt es aus mir heraus, bombardiere ich die Leute mit Fragen.» Wer sich für ein Tattoo entscheidet, muss sich acht Monate gedulden. Sein Terminkalender ist voll. Und wenn jemand sein Tattoo bereut? Valentin schüttelt den Kopf. Von Entfernungen mag er nicht sprechen. «Eine Horrorvorstellung.» Inzwischen hat er Gummihandschuhe übergezogen und arbeitet sich mit surrender Tätowiermaschine zur Innenseite von Janes Arm vor. Mit sicherer Hand zieht er das Auge des Schädels entlang der Skizze. Jane stöhnt leise.
Schlechte Tattoos ausbessern
«Über Geld und Schmerzensprechen Tätowierer nicht», sagt Leandra, Valentins Shop-Manager. Dass es üblich sei, bar zu bezahlen, und dass der Stundenansatz von150 bis zu 300 Franken, in wenigen Fällen sogar bis 750 Franken liege, dürfe man aber schon wissen. Aber:«Es gibt auch Motive, die pauschal berechnet werden. Das hängt von der Grösse ab», sagt sie.
Unter den zahlreichen Tätowierern in der Schweiz, im Telefonbuch sind rund 300 Studios eingetragen, sind viele hervorragende Künstler. Valentin, der sein Handwerk seit 25 Jahren ausübt, gehört zweifellos zu den besten. Die Tätowiermagazine drucken aber oft Bilder von missglückten Tattoos, um auf stümperhafte Tätowierer hinzuweisen, die ein Stück vom Kuchen abhaben wollen. Denn das Tätowieren boomt seit Jahren. Folglich ist damit Geld zu verdienen. Dass Dilettanten ihr Unwesen treiben, weiss Valentin nur zu gut. Fast 10 Prozent seiner Arbeiten sind Coverups. Er überdeckt schlechte Tattoos.
Wie aber findet man seinen Künstler? Leandra: «Bei uns darf jeder eintreten, sich umsehen und Fragen stellen. Wer aber jünger als 18 ist, kriegt hier keinen Termin», sagt Valentin. Seine Kunden sind Gemeinderäte, Polizisten und Gärtnermeister. Was ihm noch fehle, sei ein Bankdirektor, sagt er lachend. Massgebend für Qualität ist die Kunst. Valentins Lehrlinge Ivo und Jane haben beide die Kunstschule abgeschlossen. Über die Hygiene sagt Valentin: «Für mich ist Sauberkeit selbstverständlich, darüber brauchtman gar nicht zu diskutieren.»
Internationale Erfahrung
Seriöse Tätowierer lassen sich in die Karten blicken. So auch Belinda (28) und Steff (37) im The Tattooed Arm in Kriens. Die beiden haben ihr Studio vor einem Jahr eröffnet. Beli hat in Brasilien Erfahrungen gesammelt, und Steff arbeitete bei renommierten Tätowierern in Kanada, den USA und in England. Auch im Tattooed Arm kann man nicht einfach eintreten und sich hinlegen. Wartezeit: drei Monate. Jlona Dreyer (20) aus Sachseln hat diese Zeit genutzt, um sich über ihr Motiv Gedanken zu machen. Entspannt sitzt sie auf der Liege bei Steff. Er tätowiert ihr Klaviertasten, eine Geige, eine Musikkassette und Noten auf den Arm. «Sie wollte das Thema Musik. Also nehmen wir Details, die in der Musik eine Bedeutung haben. Damit es authentisch wird, kriegt Jlona sogar echte Noten des Elvis-Songs «Suspicious Mind», sagt Steff, während er den Rand der Geige mit roter Farbe nachzieht.
Nach gut drei Stunden ist das Tattoo fertig. Sie stellt sich vor den Spiegel und ist begeistert, anders lässt sich ihr Gesichtsausdruck nicht beschreiben. Im selben Raum arbeitet Beli. Ihre Kundin Nicole Müller (20) aus Niederwil hat ein grosses Motiv mit Blumen und Pfauenfedernausgesucht. «Im Gegensatz zu früher sind die Leute heute mutiger. Man will keine Bildli, sondern etwas Konzeptionelles, das man ausbauen kann», sagt Beli. Klassiker seien aber auch Sterne und Schriften in verschiedenen Ausführungen.
Wie Valentin verwenden die Krienser ausschliesslich Einwegnadeln und steril verpackte Führungen. Beim Thema Hygiene und Tätowierfarben verweisen Belinda und Steff auf den Verband Schweizerischer Berufstätowierer (VST), dem beide angeschlossen sind. Beli weiss und bedauert, dass es immer noch zu viele unsaubere Studios gibt. Sie ist überzeugt, dass Massnahmen und Kontrollen langfristig zur Akzeptanz des Tätowierens beitragen.
Text: Roger Rüegger
Valentin, Tätowierer in Sursee, posiert in seinem Studio.